Die Erforschung seltener Erkrankungen ist mehr als jeder andere Bereich in der Medizin auf eine gute, nationale Grenzen übersteigende, interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen. Es sind über 7.000 seltene Erkrankungen bekannt, jede einzelne seltene Erkrankung ist zwar selten (ihre Inzidenz ist < 5:10.000), doch in ihrer Gesamtheit stellen sie für die Betroffenen und die Gesellschaft eine große Bürde dar. Allein in der EU leben schätzungsweise 33 Millionen Menschen mit einer seltenen Erkrankung. Noch immer dauert es oft viele Jahre, bis eine korrekte Diagnose gestellt werden kann – für die Patienten bedeutet dies lange Odysseen von Klinik zu Klinik. In den medizinischen Fakultäten wird immer noch viel zu wenig auf die Besonderheiten von Patienten mit seltenen Erkrankungen hingewiesen, oft herrscht „Schubladendenken“ vor, welches außergewöhnliche Phänomene nicht angemessen berücksichtigt. Eine gesteigerte „Awareness“ bei Studierenden und ÄrztInnen ist dringlich. Aber auch wenn eine korrekte Diagnose gestellt werden kann, gehen die Probleme für PatientInnen weiter, denn für die meisten seltenen Erkrankungen gibt es immer noch keine Heilungschancen.
Nur durch gute internationale Kooperationen und Zusammenschau vieler PatientInnen mit seltenen Erkrankungen können belastbare Aussagen über Grundlagen der Diagnostik und Therapie getroffen werden und neue wegweisende Forschungsaktivitäten umgesetzt werden. Da seltene Erkrankungen meist durch kleine genetische Webfehler hervorgerufen werden, liegt auch eine weitere Chance in ihrer Erforschung. Angesichts moderner technologischer „omics“-basierter Plattformen besteht heute die Möglichkeit, pathogenetische Prinzipien rascher und klarer zu erkennen als es bei komplexen Erkrankungen der Fall ist. Die Forschung an seltenen Erkrankungen eröffnet so ungeahnte Einblicke in die Entwicklung und Funktion von Zellen, Organen und des gesamten Organismus. Im Blick auf die Lehre und die Ausbildung zukünftiger Generationen von ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen ist es von fundamentaler Bedeutung, neue Zugangswege zum/r Patienten/in zu definieren, um eine zielgerichtete und personalisierte Therapie zu ermöglichen.
Im thematischen DAAD-Netzwerk „Forschung für seltene Erkrankungen und personalisierte Medizin“ wollen wir vom Dr. von Haunerschen Kinderspital (Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München) aus versuchen, im internationalen Dialog m it unseren Partner-Instituten in Bangkok, Isfahan, Tel Aviv, Kayseri, Boston, Toronto und Medellín neue Akzente der Ausbildung für ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen zu setzen. Das strategische Ziel dieses Projektes besteht einerseits darin, die genetischen Grundlagen und die Pathophysiologie seltener Erkrankungen des Immunsystems aufzuklären und personalisierte Therapieoptionen zu entwickeln, andererseits wollen wir mit der Expertise unserer Partner ein „neues Denken“ in der Medizin herbeiführen. Durch die Förderung der Mobilität und des wissenschaftlichen Nachwuchses wollen wir dazu beitragen, dass PatientInnen mit seltenen Erkrankungen aus dem Schattendasein der „Waisen der Medizin“ heraustreten können und zur Avantgarde einer neuen Ära der individualisierten Medizin werden.